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Zu schnell in eine zu enge Kurve: die Zugentgleisung von Niederlahnstein

Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung hat den Untersuchungsbericht zur Zugentgleisung von Niederlahnstein veröffentlicht.

In diesem Blogpost möchte ich die Ergebnisse einordnen.

Hergang

DGS 49077 war am 30.08.2020 gegen 18:35 Uhr für das Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) Laeger&Wöstenhöfer GmbH & Co. KG als Kesselwagenganzzug unterwegs von Rotterdam nach Basel. Im Raum Koblenz war ein Wechsel von der linken auf die rechte Rheinstrecke vorgesehen. Hierzu sollte dieser im Koblenzer Hauptbahnhof auf die Horchheimer Brücke fahren und von dieser im Bahnhof Niederlahnstein auf die rechte Rheinstrecke wechseln. Beim Streckenwechsel passierte die Entgleisung.

Folgen

Es wurde eine Person verletzt. Bedingt durch Beschädigungen zweier Kesselwagen kam es zum Austritt von etwa 180.000 Litern Dieselkraftstoff, welche den Untergrund verunreinigten. Diesel besitzt einen hohen Flammpunkt, sodass es nicht zu einer Entzündung kam. Der Sachschaden belief sich auf knapp 20 Millionen Euro.

Gleiszustand

Ein guter Gleiszustand ist unabdingbar für einen sicheren Bahnbetrieb.

Trassierung

Die Trassierung, also die vorgesehene Gleislage entsprach nicht den Vorgaben. Im Unfallabschnitt befand sich zunächst eine Weiche mit einem Abzweigradius von 190 Metern, welche abzweigend mit 40 km/h befahren werden kann. Dieses ist die Regelausführung. Unmittelbar hieran schloss sich ein Gleisbogen mit einem Radius von 150 Metern an, dieses ist bei Geschwindigkeiten von 40 km/h nur in Ausnahmefällen und mit vorheriger Genehmigung der Konzernzentrale zulässig. Beides lag nicht vor. Zwar müssen alle Züge unfallfrei Radien von 150 Metern durchfahren können. Dieses ist aber nur bei geringeren Geschwindigkeiten zu gewährleisten.

Gleiszustand

Bei der letzten Befahrung des Gleises durch einen Messzug wurde eine Abweichung von 20 mm von der Regelgleislage festgestellt. Dieser Fehler ist normalerweise nicht so kritisch, dass er sofortige Maßnahmen erfordert hätte. Eine Beseitigung bis zur nächsten Regelinspektion ist ausreichend. Bei einer deutlichen Abweichung der Trassierung von den Regelwerten wäre es allerdings angebracht gewesen, das Gleis schon bei so einem Gleislagefehler zu sperren.

Im Vorfeld des Ereignisses wurde von verschiedenen Triebfahrzeugführern beim Befahren dieses Gleisabschnittes eine schlechte Gleislage an den Fahrdienstleiter gemeldet. Eine solche Meldung ist vom Fahrdienstleiter an eine Fachkraft Oberbau weiterzuleiten. Bis zur Freigabe durch diese ist das Gleis zu sperren. Dieses ist jedoch nicht erfolgt.

Verhalten des Triebfahrzeugführers

In den Medien wurde bereits das Verhalten des, bei einem Personaldienstleisters angestellten, Triebfahrzeugführers hervorgehoben. Die Aufgaben eines Triebfahrzeugführers sind insbesondere die sichere Durchführung des Eisenbahnbetriebs unter Beachtung der geltenden Vorschriften.

Übernahme des Zuges

Den Unglückszug hat er Im Bahnhof Köln-Ehrenfeld übernommen. Die dort für 15:14 Uhr vorgesehene Abfahrt erfolgte dort um 17:10 Uhr. Im Rahmen der Zugvorbereitung musste er den Bremszettel neu fertigen, da die Wagenreihung gegenüber der vorherigen gemeldeten Reihung abweichend war. Ebenfalls mussten Eingaben für das Zugbeeinflussungssystem PZB gemacht werden. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit des Zuges betrug 90 km/h.

Eingaben für die Zugbeeinflussung

Der Triebfahrzeugführer musste dem Zugbeeinflussungssystem die notwendigen Informationen übergeben, damit dieses seine Arbeit korrekt verrichten kann.

Die Tf-Nummer dient der Nachvollziehbarkeit der Fahrzeuge. Moderne Züge schreiben allerlei Informationen mit (ähnlich der Blackbox im Luftverkehr). Diese können bei Bedarf ausgelesen und so einem konkreten Triebfahrzeugführer zugeordnet werden. Diese Nummer wird vom Eisenbahnverkehrsunternehmen vergeben. Der Triebfahrzeugführer hat hier eine, nicht nachvollziehbare, Nummer eingeben. Dieses ist bereits ein Fehler.

Die Bremsart gibt insbesondere darüber Auskunft, wie schnell Bremsen anlegen. Druckluftbremsen können Informationen nur mit maximal Schallgeschwindigkeit übermitteln. Bei langen Güterzügen würde es daher dazu kommen, dass der hintere Teil schwungvoll auf den vorderen aufläuft. Daher gibt es eine eigene Bremsstellung "G" für diese Fälle. Für Personenzüge (ältere, damit nicht so gut bremsend) und Züge mit schnell wirkender Bremse (moderne Personenzüge) gibt es dann noch die Bremsstellungen "P" und "R". Wenn im Zug Wagen mit der Bremsstellung "G" eingereiht sind, ist zwingen die untere Zugart zu verwenden. Die Zugart der Zugbeeinflussung gibt die Einschränkungen des Zuges vor. Je höher die Zugart ist, desto weniger restriktiv sind die Vorgaben. Dafür muss der Zug besser bremsen können. Entgegen der Vorgaben wurde trotz vorhandener Bremsstellung "G" im Zugverband die mittlere Zugart gewählt.

Die mittlere Zugart überwacht eine Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h.

Fahrt bis zum Knoten Koblenz

Die Fahrt bis zum Knoten Koblenz verlief ziemlich rasant. Der Zug war mehr oder weniger durchgehend deutlich zu schnell unterwegs. So wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit des Zuges von 90 km/h insgesamt sechsmal überschritten. Zwischen Bonn und Remagen wurde sogar für etwa 18 Minuten mit Geschwindigkeiten um die 100 km/h gefahren. Zwischen Remagen und Andernach erreichte der Zug mit 107 km/h seine höchste Geschwindigkeit. Zulässige Geschwindigkeiten sind im Bahnverkehr stets einzuhalten.

Annäherung an Niederlahnstein

Die Horchheimer Brücke ist für Geschwindigkeiten von 60 km/h befahrbar. Die zulässigen Geschwindigkeiten im Bahnhof hängen vom gewählten Fahrweg ab. Erfolgt die Durchfahrt entlang der Bahnsteige, so ist diese mit 60 km/h möglich. Bei einer Nutzung der Durchfahrtsgleise der rechten Rheinstrecke ist eine Durchfahrt mit 40 km/h, welche dem Triebfahrzeugführer mit dem Signalbild Hp2 - Langsamfahrt angezeigt wird. Da keine abweichenden Geschwindigkeiten vorgegeben waren, waren nur maximal 40 km/h erlaut. Das Einfahrsignal passierte der Zug mit 61 km/h und beschleunigte in der Folge weiter. Die später eingeleitete Betriebsbremsung war nicht nur für Gefahrensituationen nicht zugelassen, sie war auch, weil zu schwach, ungeeignet.

erfahrener Eisenbahner?

Der Triebfahrzeugführer war im Besitz der für das Führen dieses Zuges erforderlichen Dokumente. Lediglich der Prüfvermerk des Streckenkundenachweises war nicht unterschrieben.

Der Triebfahrzeugführer war bereits im Vorfeld immer wieder durch Signalverfehlungen (unzulässige Vorbeifahrten an Halt-Signalen) und überhöhte Geschwindigkeiten aufgefallen. Zwei Unternehmen entzogen ihm daraufhin bereits die unternehmensinternen Bescheinigungen. Wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung wurde bereits eine Nachschulung veranlasst.

Wie nach dem Unfall bekanntgeworden, hat der Triebfahrzeugführer in der Vergangenheit wiederholt ein privates Mobiltelefon während der Dienstausübung genutzt. Dieses ist nicht zulässig.

Aufgrund der Vielzahl schwerwiegender, wiederholter und sicherheitsrelavanter Regelverstöße kam die Führerscheinstelle beim Eisenbahnbundesamt zum Schluss, dass die notwendige Zuverlässigkeit fehle und entzog dem Triebfahrzeugführer den Triebfahrzeugführerschein. Jetzt kann man sich natürlich für sein verantwortungsloses Handeln in Grund und Boden schämen und die Branche unauffällig wechseln. Oder man klagt. Und verliert sowohl beim Verwaltungsgericht und beim Oberverwaltungsgericht.

(31.08.2022)

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