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Warum eine barrierefreie Bahn nicht so einfach ist

4 Standards

Für einen stufenfreien Einstieg ist es erforderlich, dass sich Fahrzeugboden und Bahnsteig etwa auf der gleichen Höhe befinden. Da Bahnsteige vielfach von verschiedenen Fahrzeugen bedient werden sollen, ist hier eine Standardisierung erforderlich. Diese ist auch erfolgt. Im deutschen Eisenbahnnetz gibt es dabei vier Standardbahnsteighöhen: 38cm, 55cm, 76cm und 96cm. Ich werde mich in diesem Blogpost ausschließlich auf Deutschland fokussieren. In anderen Ländern werden auch andere Höhen eingesetzt.

3 Stufen in den Zug

Warum gibt es überhaupt vier Standardbahnsteighöhen? Dieses hat - wie so oft - historische Gründe. Ursprünglich sind Werte von etwa 35-40cm vorhanden gewesen. Diese hatten den Zweck, dass aus Wagen mit 1m Fußbodenhöhe über drei Stufen ausgestiegen werden konnte. Auf diesem Wege konnten Bahnsteige mit geringem Materialaufwand gebaut werden. Ein höhengleicher Zugang über andere Gleise war ebenfalls möglich. Da eine Barrierefreiheit ohnehin nicht möglich ist, waren Abweichungen nicht weiter tragisch.

Stufenfrei rein und raus

Mit der Einführung von Stadtschnellbahnsystemen ergab sich ein neues Problem. Bedingt durch dichte Zugfolgen, viele Ein- und Aussteiger und viele Halte führten die Stufen zu deutlichen Fahrzeitverlängerungen. Aus diesem Grund wurden die Bahnsteige auf eine Höhe von knapp 1m erhöht, sodass ein stufenfreier Ein- und Ausstieg aus den Stadtschnellbahnzügen, die ebenfalls diese Höhe aufwiesen möglich wurde. Die entstandene Barrierefreiheit war ein positiver Nebeneffekt, der aber zumeist am Bahnsteigzugang scheiterte.

55 oder 76 - das ist hier die Frage

Eine aktuell diskutierte Frage ist die Frage, ob 55 oder 76cm die Bahnsteighöhe für die Zukunft sind. Einige Bundesländer haben Bahnsteige auf 55cm Höhe, andere 76cm Bahnsteighöhe. Eine visuelle Darstellung findet sich z.B. bei Wikimedia.

Bahnsteige mit 55cm bieten bei ihrem Bau große Vorteile. Durch die niedrigere Höhe kann der Materialbedarf deutlich reduziert werden und somit Baukosten eingespart werden. Im Gegenzug sind fast immer Höhenunterschiede im Fahrzeuginnenraum mittels langer Rampen oder Stufen zu überwselinden. Außerdem muss ein größerer Teil der Fahrzeugtechnik oberhalb des Wagenbodens untergebracht werden, sodass im Fahrgastraum Kapazität fehlt.

Der Fernverkehr selbst ist auf verschiedene Bahnsteighöhen optimiert. Während aus sämtlichen aktuell bestehenden Fernverkehrszügen - außer dem IC2, der auf 55cm Bahnsteighöhe mittels Spaltüberbrückung und auf 76cm Bahnsteighöhe über eine im Fahrzeug verbaute Rampe einen stufenfreien Zugang bietet - Rollstuhlfahrer mittels fahrzeugeigener oder mobiler Rampe ein- und ausgeladen werden müssen, wird bei Neuentwicklungen, wie dem ICE-L ein stufenfreier Einstieg vorgesehen.

Und nun…?

Wir werden erstmal nicht über provisorische Lösungen hinwegkommen. Neugekaufte Züge haben eine Lebenserwartung von etwa 30 Jahren. Diese sind grundsätzlich auf eine einzelne Einstiegshöhe ausgelegt. Insbesonde in Grenzbereichen verschiedener Bahnsteighöhen müssen somit Hilfslösungen gefunden werden. Hier können ausfahrbare Rampen oder auch händisch bediente Überfahrbühnen eingesetzt werden.

(30.04.2023)

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